Lortzing Uraufführung im Theater Annaberg Buchholz

Opernausgrabung »Der Weihnachtsabend« und »Andreas Hofer«

Annaberg12Das Singspiel von Albert Lortzing über den Tiroler Freiheitskämpfer ist das letzte Werk Lortzings, das noch nicht uraufgeführt wurde. Gemeinsam mit einem weiteren, sehr selten gespielten Singspiel Lortzings, Der Weihnachtsabend kam es auf die Bühne des Eduard von Winterstein Theater im erzgebirgisch-weihnachtlichen Annaberg-Buchholz

Veröffentlicht Musik in Dresden 2.1.2015, Rezension

Kaiserlieder im Bürgertheater

      Wieder war es Ingolf Huhn, dem Intendanten und Regisseur des Eduard-Winterstein-Theaters Annaberg-Buchholz, gelungen das überregionale Feuilleton von Berlin bis Halle/Leipzig – allein aus Dresden waren vier Rezensenten angereist – an sein kleines Theater in erzgebirgische Höhen zu locken. Ausgrabungen von Lortzing, ja sogar einer Uraufführung wegen, in Doppelpremiere. Da musste man hin.

      Ingolf Huhn, außerdem Gründer und Präsident der Albert-Lortzing-Gesellschaft, ist zu danken dass er selten Gespieltes und Vergessenes auf die Bühne holt. Als Regisseur bemüht er sich um Fassungen, die heute spielbar sind. Das gilt im besonderen Maße für das Zweite Singspiel des Doppelpacks am Premierenabend im Dezember, Lortzings einaktigen »Andreas Hofer«, das noch nie in Originalfassung aufgeführt worden ist. Lortzing hat in seiner Detmolder Theaterzeit zu schreiben und zu komponieren begonnen. In kurzer Folge schuf er für sein Theater Singspiele – Vaudevilles, die beliebte Arien und Melodien in neue Handlungen einbauten. Vier dieser Liederspiele entstanden in 1832, darunter der »Der Weihnachtsabend« und »Andreas Hofer«. Von den zehn Musiknummern des Hofer-Spiels sind immerhin fünf eigene Kompositionen, wie auch die Ouvertüren beider Spiele. Die ausgedehnte zum »Andreas Hofer« zählt zu Lortzings besten Orchesterstücken. Es existiert auch in Partitur und Orchesterstimmen als Druck 2014 neu aufgelegt.

Als 'Draufgabe' und Präsent der Albert Lortzing Gesellschaft gab es pünktlich am Premieretag druckfrisch das zugehörige Libretto. Die Lortzing-Forscherin Irmlind Capelle hat es aus dem einzigem nachweislich-erhaltenen Lortzing Originalmanuskript akribisch erarbeitet und kommentiert.
Libretto Andreas Hofer, 58 Seiten, Leipziger Universitätsverlag 2014.

Harmonie
      »Der Weihnachtsabend« passt bestens in die lichtelnde Erzgebirgszeit. So publikumsattraktiv, dass er alleine schon mit drei Sondervorstellungen nachmittags Touristen und Marktbesucher ins Theater zog. Der selten schöne Weihnachtsmarkt Annaberg-Buchholz, zweimal hintereinander Sieger im Wettbewerb dieser Märkte der Region, spült Hunderte von Busladungen Besucher in die Stadt. Von denen somit auch das Theater welche abbekommen hat, die mitnehmen und weitersagen, dass auch die Provinz bemerkenswert Theater machen kann. 2001 schon hatte Huhn das Lortzingsche Singspiel als Erstaufführung neuer Zeit nach 1900 auf die Bühne im Mittelsächsischen Theater Freiberg/Döbeln gebracht und jetzt wieder in Annaberg-Buchholz. Eine Geschichte von Familienwirrungen mit gutem Ende an einem 24. Dezember, bei der die Liebschaft einer Stieftochter die dramaturgische Linie bestimmt. Die Szenerie vom Ausstatter Tilo Staudte einer fast schon abstrakt großen Biedermeier-Stube, füllt die Sicht durchs große Portal. Ein überdimensionales Fenster bot für die Außenszenen auch die Spielrampe für den Regieeinfall Kasperliaden, die am Premierenabend die meisten Lacher erzielten - und herzlich anhaltenden Schlussapplaus.

Zensur
      Weniger zum Lachen ist das »Andreas Hofer« Stück. Das bekannte tragische Ende „zu Mantua in Banden … zum Tode führt ihn der Feinde Schar“ wird von Lortzing umschifft. Er bricht die Hofer-Geschichte noch vor ihrem Ende, der verlorenen letzten Bergisel-Schlacht der Tiroler gegen die versammelten Bayern und Franzosen ab - dass es jeder mitbekomme zitiert das Theaterheft in übergroßen Lettern Lortzings Biografen Jürgen Lodemann „Das Spiel handelt auch nicht von Hofers Exekution, sondern beschwört ein letztes Innehalten vor dem Sturm, stiftet noch einmal eine melancholisch schöne Stimmung, wehmütige Augenblicke vor der entscheidenden Auseinandersetzung.“

      Die ausgedehnte Overtüre zählt zu Lortzings besten Orchesterstücken. Mit ansteigender Dynamik wirbelt zum Schluss so etwas wie Aufruhr, ein Signal zur Exekution. Im Stück selbst konnte Lortzing diese nicht bringen; es galt die Zensur zu vermeiden. Aber es half nicht: Das Singspiel viel gleich nach seiner "Anzeige für Bühnen-Directionen" unter das Verbot. Danach wurde es vergessen, so dass Lortzing-Spezialist Huhn nun die Chance zu seiner 182 späten Uraufführung in Annaberg-Buchholz bekam.

       Kulissen hier sind in die andere Richtung gerückt, Alpengipfel kniehoch im übergroßen Biedermeier-Raum vom vorhergegangenen Stück (warum?). Der Hofer selbst kommt recht krachledern daher, in doppeltem Sinn der Personenbewegung, mit Tische Auf-Abbau zum Feiern und Tiroler-Kostümierung, wie die ‚Manner‘ halt so sind. Mannhaft – Hofer wusste vom Verrat - stimmen sie sich auf die entscheidende Auseinandersetzung um ihr "Tyrol" ein. In die Knie gehend alle - nahezu das ganze Ensemble mit Chor ist versammelt - stimmen sie an „Gott erhalte Franz den Kaiser“, auf Haydns-Melodie, zu der wir heute „Einigkeit und Recht und Freiheit“ singen.

Erfolg
      Nach einer Einführungs-Matinee im November hatte das Doppelpack Ausgrabung-Uraufführung »Der Weihnachtsabend - Andreas Hofer« einschließlich der ausverkauften Premiere im Dezember sieben gut besuchte Vorstellungen gehabt. Das ist schon gut und viel für eine Stadt die nur 21 Tausend Einwohner hat. Der Weihnachtsabend bleibt im Repertoire für die nächste Saison. Andreas Hofer ist zunächst abgespielt.

125 Jahre Bürger-Theatertradition

      Bühnenspiel mit Tanz, Gesang, lebendiger Musik ist in Annaberg fast so alt wie die Stadt selbst. Für die Entwicklung des Theaterspielen war maßgeblich die Lateinschule, an der es nachweislich vom 16. bis Anfang des 19. Jahrhundert Schulspiele gegeben hat. Dann kamen die Wanderbühnen in die Stadt. Auf Drängen der Bürgerschaft nach einer festen Spielstätte folgte die Errichtung des ersten Annaberger Theaters in der Innenstadt. Abgelöst wurde dieses durch einen größeren modernen Theaterbau an der nach Buchholz führenden Straße, der auch den gestiegenen Sicherheitsanforderungen entsprach. Seine Eröffnung erfolgte 1893 mit Goethes »Egmont«, in der Titelrolle der berühmt werdende Mime Eduard von Winterstein. Er wurde später zum Namensgeber des Theaters. Im Lauf der Geschichte folgen Höhen und Tiefen aber durchgehend Bespielung, bis auf die kriegsbedingte Unterbrechung mit Wiederbeginn schon im Juli 1945.

      Annaberg war kriegsunberührt und somit auch das Theater unzerstört geblieben. Notwendig gewordene Umbau-, Erweiterungs- und Rekonstruktionsmaßnahmen erforderten eine längere Pause in den siebziger Jahren. Mit komplett erneuerter Technik auch für größere Musiktheaterproduktionen gerüstet, zusätzlich einer neuen Studiobühne mit 50-60 Plätzen, eröffnete das nun Eduard-von-Winterstein-Theater benannte im Jahr 1981 so wie es heute zu erleben ist. Die Fassade des bald 125 Jahre alten Theaters strahlt im Charme seiner Errichtungszeit, die Einrichtung der Zeit siebziger Jahre.

      Der Zuschauerraum mit seinem umlaufenden Rang vor Bühne und Orchestergraben bietet 300 Besuchern Platz. Das Haupthaus des Dreisparten-Theaters - Musiktheater, Schauspiel, Konzerte - hat seine Spielsaison von September bis Mai. Von Juni bis Juli geht es dann zur seit 1928 schon bespielten Felsenbühne an den ‚Greifensteinen‘, die allein schon vom romantischen Milieu gesehen, ein Erlebnis ist. Als Attraktion für Sommergäste der Region und von Fern ist sie öfter bis an die Kapazitätsgrenze von 1.200 Plätzen gefüllt.

      Das angegliederte Orchester der ‚Erzgebirgischen Philharmonie Aue‘ unter ihrem GMD Naoshi Takahashi spielt regelmäßig auch im Kulturhaus Aue das 800 Plätze zu füllen hat. Wie das Theater auch etliche kleinere Spielplätze - „außer Haus“, sagt das Programm - bedient. Damit erreicht das Ensemble von 78 künstlerischen, insgesamt 150 Mitarbeiteren ein Publikum von etwa 90.000 Zuschauern – inklusive der Freilichtbühne “Greifensteine”. Geschafft muss das werden aus einem Jahrestat von 8 Millionen Euro. Der ist finanziert zu 13 Prozent aus Einspielungen und 70 Prozent aus der Kulturraumsubvention. Den Rest steuern flexibel die Städte und der Landkreis Erzgebirge bei, der auch Träger des Theaters ist.

Da ist der Berg dazwischen
      „Wir sind hier die Fahnenträger der Hochkultur; machen Theater für die Region, für Annaberg, für Buchholz, für Aue und die Menschen rundum. Das erfordert ein Grundangebot mit Aktuellem, Gängigem und Populärem. Dafür erarbeiten wir in den beiden Theatersparten zusammen 9 bis 10 große und 3 bis 4 kleine Produktionen und noch einmal 2 bis 3 Neuinszenierungen auf den Greifensteinen. Hinzu kommen die 10 Abonnementskonzerte der Saison und etwa 25 weitere Konzerte. Wenn wir dann Ausgrabungen, moderne Erst- oder gar eine Uraufführung darauf setzen, schaffen wir das Besondere, Identitätsstiftende das uns das Publikum bindet, neues gewinnt und mit der überregionalen Aufmerksamkeit - wenn dann vielleicht die Süddeutsche und die FAZ berichten - auch Leute zu uns bringt, die noch nie im Erzgebirge waren", sagt Ingolf Huhn zu seiner Programmfindung. Der Ruth-Berghaus-Schüler und -Assistent leugnet seine gesellschaftliche Orientierung nicht, die aufs Inhaltliche, ästhetische Verantwortung, Wachheit gegenüber Zumutungen gerichtet ist.

     Und diesbezüglich gefragt über das aus der Regierungsstadt Dresden immer wieder mal drohende Wollen, die beiden Theater des Kulturraums Erzgebirge-Mittelsachen - die Eduard Winterstein Theater GmbH Annaber/Aue mit dem Mittelsächsischen Theater Freiberg/Döbeln - zu fusionieren: „das wird seit 1920 überlegt und immer wieder aufgegeben; das funktioniert nicht, da ist der Berg dazwischen" (6.1.2015 Bäu)



 

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