Werner Heisenberg besucht Niels Bohr in "Kopenhagen"
"Kopenhagen" - Wiederaufnahme im Theater Wechselbad im Jahr 2010
Barack Obamas Atomwaffen-Abrüstungsvertrag, Iran und Korea rüsten auf, Anti-AKW-Bewegung meldet sich zurück, 120 Kilometer lange Menschenkette gegen Laufzeitverlängerung am 24. April 2010: das Kernkraftthema ist aktuell. (1.5.2010 Bäu)So passt es, dass „Kopenhagen“, das 2006 zunächst abgespielte, intellektuelle Stück des US-Autors Michael Frayn wieder in den Spielplan des Dresdner Theaters „wechselbad“ aufgenommen ist. Ein geniales Gedankenspiel ob die "Atombombe" verhinderbar gewesen wäre, geht auf spannende Weise Grundfragen der Politik
und der Verantwortung von Wissenschaftlern nach.
Theater "wechselbad"
für Dresdner Neueste Nachrichten
Dresdner UniversitätsJournal 2006
Dresdner Blättl 2006
DIE BOMBE STOPPEN? - Heisenberg besucht Bohr 1941 in Kopenhagen
Eine winzige Energiemenge strahlt als Radioaktivität, wenn ein Atomkern des Elements Uran-235 zerfällt. So wenig wie 14 Nullen hinter dem Koma von dem, was ein Taschenlämpchen in einer Stunde verbraucht. Kommen mehrere Kilogramm dieses instabilen Uran-Isotops zusammen, wird eine kritische Masse überschritten, rast die Lawine der Kettenreaktion los. Vervielfacht mit den Myriaden der Atome, die in einem Kilogramm Uran enthalten sind, eine 10 mit 23 Nullen, entsteht die ungeheure Kernexplosion.Im August vor 65 Jahren
Am Morgen des 6. August 1945, 8 Uhr 15 dortiger Zeit, drückte der Bombenschütze der B-29 Superconstelation „Enola Gay“, einen Bombenabwurfknopf. 580 Meter in der Luft, über dem Zentrum der japanischen Industriestadt Hiroshima, schossen die Explosionszünder in der Uran-Bombe mit dem freundlichen Nicknamen „Little Boy“, angereichertes Uran-235 zur kritischen Masse zusammen. Auf den milliardsten Teil einer Sekunde geballt, der Explosionskern mit höheren Temperaturen und Energiedichten als im Kern der Sonne, brach die Energiemenge frei, wie sie heute Städte der Größe von Dresden über viele Monate gesammelt verbrauchen. Das Menschenexperiment für eine neue Kriegswaffe tötete 80.000 sofort, weitere 140.000 bis Ende 1945. Die Stadt war zu 90 Prozent ausgelöscht. Unter Spätfolgen leidet die Bevölkerung bis heute. Drei Tage später ereilte ein gleiches Schicksal durch eine Plutonium-Bombe die Stadt Nagasaki.
„Kopenhagen“ im Theater Wechselbad
Es ist ein Geheimnis und bleibt für immer Spekulationen unterworfen, was genau die Physiker Werner Heisenberg und Niels Bohr miteinander besprachen. Bei ihrem merkwürdigen Treffen, anlässlich einer Reise Heisenbergs nach Kopenhagen, im September des Kriegsjahres 1941, in das von Deutschland besetzte Dänemark. Ein Vier-Augengespräch bei einem Spaziergang, auf das Heisenberg drängte, haben die beiden abrupt abgebrochen. Soweit ist das belegt.
Niels Bohr (1885-1953, Nobelpreis 1922), Vater der Atomtheorie, war als sein wissenschaftlicher Ziehvater, mit dem Begründer der Quantenmechanik, Werner Heisenberg (1901-1976, Nobelpreis 1932) seit langem und freundschaftlich verbunden. Bohr arbeitete, im neutralen Dänemark unverführt von irgendwelchen Waffen-Entwicklungsaufträgen, an der Theorie der Atomkernspaltung. In Deutschland wurde Heisenberg, nach seinem Konzeptvorschlag 1939 an das Heereswaffenamt über eine „Uranmaschine“, Leiter einer der Entwicklungslinien der Atom-Forschungsprogramme der Nationalsozialisten. Tatsache ist, dass in dieser Zeit die Nuklearentwicklungen in Deutschland anliefen und nach dem Besuch Heisenbergs bei Bohr nicht abgebrochen wurden. Sie gingen weiter, in der Heisenbergschen Gruppe ab 1942 nur noch auf Laborniveau und weiterhin mit begrenzten Ressourcen. Ausgelagert und unter primitiven Verhältnissen, erzielte Heisenbergs Forscherteam zu Kriegsende das Ergebnis eines gerade noch unterkritischen Atom-Reaktors. Amerika hatte in der Wüste von Los Alamos mit immensem Mittel- und Personalaufwand die Uran-Anreicherung und Atombomben-Entwicklung aufgezogen. Ein vor Deutschland warnender Brief Albert Einsteins an Präsident Roosevelt hatte den letzten Ausschlag gegeben, die Atomwaffenentwicklung mit größtem Einsatz zu starten. Bohr war nach seiner Flucht aus Dänemark über England 1943 zu diesem „Manhattan-Projekt“ gestoßen. Wahrscheinlich ist, dass er dort über die Inhalte seines Gesprächs mit Heisenberg berichtet hat.
Dies ist die Folie der historischen Fakten, Auto- und Biografischem, dokumentierten Aussagen der Protagonisten. Der englische Autor Michael Frayn, bekannt durch die Farce „Der nackte Wahnsinn“, versucht mit seinem Stück „Kopenhagen“ die rätselhafte Begegnung der beiden Physiker zu rekonstruieren. Was wollte Heisenberg, warum suchte er ein unbelauschbares Gespräch mit Bohr. Brauchte er Rat, wollte er sich rechtfertigen, erhoffte er Absolution? Kam er mit einer Botschaft „was wäre wenn“? Zwei Inhaltsstränge des gegenseitigen Abtastens verwebt der Autor ineinander. Wissenschaftliches um die Atomkernspaltung, wie weit in der Entwicklung jede Seite sei. Zum anderen Ideologisches, das die Diskutierenden ins Politische führt, an dem sie das Gespräch wieder abbrechen lassen. Über der Auseinandersetzung steht, für Frayn, die Frage nach der Haltung des Forschers zu den Konsequenzen seiner Arbeit: Legitimiert eine „Moral“ den Wissenschaftler an der praktischen Nutzung der Kernenergie, friedlich nicht ungefährlich, kriegerisch so ungeheuer zerstörend, mit zu wirken?
Ohne weitere Handlung, als die des Gesprächs im Hause Bohrs und die Rückkehr vom Spaziergang, baut die Intensität des Diskurses und das ein Zeitalter prägende Thema, packende Spannung auf. Mit hoher Sprechkultur, Bandbreite zwischen emotionalen Hoch und Tief, verkörpern Rolf Dietrich und Olaf Hais, in der Inszenierung von Gerd Schlesselmann, die unterschiedlichen Charaktere. Bohr geradlinig und dann doch „Informant“ zu den Amerikanern? Heisenberg gespalten in schwierigerer Situation und doch, es könnte sein „Verhinderer“ einer deutschen Bombe? Er als Forscher, selbst von dem verhaltensbestimmt, auf was er als seine berühmte „Unbestimmtheitsrelation“ gestoßen ist? An Bohr’s Seite, seine Frau Margarethe, gespielt von Brigitte Wähner, die zögernd und warnend, auch im Leben, die physische und emotionale Stütze des Forschers gewesen ist.
Empfehlung für alle, die Gefallen finden an kultivierter Unterhaltung mit geistig anregend geschliffenem Disput. Auch für die, welche mehr über die Kernspaltung wissen und in die Gebärstunden des Atom-Zeitalters zurückschauen wollen. Vor allem aber Denkanstoß für jene, welche die Frage der Verantwortung des Wissenschaftlers umtreibt „... die Geister, die ich rief ..." (Bäu 31.1.2006)