Mehr Raum dem Fluss? Hochwasserschutz in Sachsen
Zu wenig Überflutungsflächen: Kritik an Sachsens Hochwasserschutz
Sachsen setzt allzusehr auf Deiche und Dämme, der Ausbau von von Überschwemmungsflächen kommt zu kurz. Von an Elbe, Mulde, Zschopau, Neiße vorgesehenen 49 Deichrückverlegungen und Poldern sind erst sieben Maßnahmen umgesetzt; vom Soll 7500 Hektar weiterer Überflutungsfläche sind lediglich 260 Hektar gewonnen; von insgesamt 2,4 Milliarden Euro wurden seit 2002 nur 9,5 Millionen, also lächerliche 0,4 Prozent für die Ursachenbekämpfung eingesetzt, also die Schaffung von Überschwemmungsfläche.(Zitat Interview Wolfram Günther, MdL Grüne, DNN 20.8.2016)
Auen statt Mauern (Beitrag von 2013)
Sachsen beschloss 2013 etliche neue Regelungen zum Hochwasserschutz. Mit der Novellierung des Wassergesetzes sind auch die gesetzlichen Vorraussetzungen geschaffen für nachhaltigen, natürlichen Hochwasserschutz durch Retention, Ausweitung und Wiedergewinn von Überflutungsflächen und nicht alleine bzw. überwiegend durch technischen Hochwasserschutz mit Deichen, Dämmen, Mauern. Es bleibt zu beobachten, wie dem in Sachsen gefolgt wird? (Bäu 19.7.2013) Denn es darf nicht kommen wie nach 2002: die Naturschutzvereinigung BUND, hat ausgerechnet, dass von den 35.000 Hektar Rückhalteflächen in Sachsen, auf die man sich nach der Jahrhundertflut schon 2003 sich geeinigt hatte, bis 2013 lediglich 2 Prozent umgesetzt worden sind. Nur wenig Deichverlegungen erfolgten und wurden Polder neu angelegt.
Absiedlung von Überschwemmungszonen darf kein Tabu mehr sein, wie das Finanzieren der Umsiedlung.
Landtagsbeschluss zum Hochwasserschutz - neues Wassergesetz
Sachsens Landtag hat mit mit einer Novellierung des Wassergesetzes etliche neue Regelungen zum Hochwasserschutz beschlossen. Mit dem Gesetz ist der Freistaat den Angaben zufolge bundesweit das einzige Land, das neben Überschwemmungsgebieten nun auch überschwemmungsgefährdete Gebiete etwa hinter Deichen ausweist. In beiden Gebieten muss künftig spezielle Hochwasservorsorge getroffen werden. Weitere Neuregelungen sind, dass durch Hochwasser entstandene Gewässeraufweitungen oder neue Gewässerbette künftig grundsätzlich zu erhalten sind. Durch Fluten beschädigte oder zerstörte Ufermauern sollen in der Regel nicht wieder aufgebaut werden. „Mit dieser Änderung im Wassergesetz geben wir den Flüssen mehr Raum", sagte nach der Verabschiedung der Novelle am 11. Juli 2013 Sachsen Umweltminister Frank Kupfer (CDU).Die Opposition ist nicht zufrieden und verlangt eine ausführlicher Betrachtung der Konsequenzen aus dem jüngsten verheerenden Hochwasser. „Erforderlich ist, das Klein-klein zu überwinden und wirklich in Flusseinzugsgebieten über Ländergrenzen hinaus zu denken." Das schafft der Gesetzentwurf nicht.
ein Beitrag in Quo Vadis Dresden vom 17. Juni 2013
Peter Bäumler und Eduard Zetera
Rückblicke
Hochwasser Jahr 2002 (Beitrag von 2002)
„Es ist die größte Katastrophe, die Dresden seit der Bombennacht vom 13. Februar 1945 getroffen hat“ sagte der damalige Oberbürgermeister Ingolf Roßberg, und weiter: „Mit dem Jahrhunderthochwasser 1845, Höchstpegel 8,77 Meter, flossen 5.600 Kubikmeter pro Sekunde die Elbe herab, jetzt, 17. August 2002, Höchstpegel 9,40 Meter, sind es über 7.000. Damit haben wir jetzt ein Jahrtausendhochwasser.“Dem aufgeregten „tausendjährig“ folgte bald die sachlich Einstufung als ein hundertjähriges Hochwasser – also eines, das mit aller Wahrscheinlichkeit einmal innerhalb von hundert Jahren auftritt. Auf mathematisch-statistische Weise wurde nach dem Wasserdurchfluss der HQ-100-Pegel an der Augustusbrücke auf 9,26 Meter festgesetzt. Darauf sind die Ausbaumaßnahmen zum Hochwasserschutz in der Stadt Dresden ausgelegt.
Hochwasser Jahr 2013 (Beitrag von 2013)
Die Elbe ist wieder gesunken. Mit 8,76 Meter hatte das Hochwasser in Dresden am 6. Juni 2013 seinen Scheitel erreicht. Thomas Löser, bündnisgrüner Stadtrat, dazu: „Verwaltung, Katastrophenschutz und Bürger waren besser vorbereitet als 2002. Die Informationen – auch aus Tschechien – kamen viel früher und verlässlicher und standen jedermann zur Verfügung. Wichtige Hochwasserschutzmaßnahmen, wo sie vollendet sind, wie an der Weißeritz, in der Dresdner Altstadt und die mobile Anlage in Pieschen, haben funktioniert.“Über die neuen Medien Facebook und Twitter mobilisiert, kamen unzählige junge Leute, zum Teil von weit her. Sie unterstützen die amtlichen und ehrenamtlichen Helfer, füllten Sandsäcke, bauten Dämme, halfen Anwohnern – und räumten als „Generation Sandsack“ ganz nebenbei mit liebevoll gepflegten Vorurteilen auf.
Das jüngste Hochwasser der Elbe ist nun das dritte über 8,50 m in den letzten 200 Jahren. Zwei dieser Hochwasser liegen innerhalb der letzten 11 Jahre. Müssen die HQs deshalb neu definiert werden? Etwa ein neues „HQ10“: alle 10 Jahre acht Meter fünfzig? Bislang „Hundertjährige“ in so kurzer Folge lassen befürchten, dass Häufigkeit und Stärke der die Stadt Dresden heimsuchenden Hochwasserereignisse steigt.
Sind wir darauf vorbereitet? Nein, sind wir nicht.
„Dresden Schuld“ – titelt eine Tageszeitung
Nach wie vor wird in Dresden und in ganz Sachsen nicht nach dem besten Hochwasserschutz gesucht, sondern pauschal der Bau von Flutschutzmauern und Deichen vorangetrieben. Jede damit verbundene Einengung des Flusslaufes verursacht bei den Unterrainern eine Erhöhung der Pegel. So waren vom diesjährigen Hochwasser die Altstadt von Meißen und die Stadt Riesa stärker betroffen als 2002.Bei den nun in hektischer Regsamkeit auf allen Ebenen angesetzten Maßnahmenberatungen, ist es geboten, den Hochwasserschutz kooperativ am gesamten Flusslauf zu betrachten und Retention zum Schwerpunkt zu machen. Selbst die Absiedlung von Überschwemmungsflächen darf kein Tabu mehr sein, auch nicht die Finanzierung von Umsiedlungen.
Der WWF rechnet vor, dass der Elbe durch Eindeichung heute nur noch 14% ihrer „natürlichen“ Überschwemmungsfläche zur Verfügung stehen. Da verwundert es kaum, dass sie sich gelegentlich einen Teil davon zurückholt, zumal nach 2002 die Rückgewinnung von gerade einmal 1% ihrer Überschwemmungsfläche auch nur geprüft wurde. Der WWF kommt „Fünf Jahre nach der Elbeflut“ denn auch zu einem vernichtenden Urteil:
Finanzierungshilfen zur Beseitigung von Hochwasserschäden sowie für Hochwasserschutzmaßnahmen fließen zu weit überwiegenden Teilen in Projekte, bei denen Aspekte der Nachhaltigkeit insgesamt regelmäßig unberücksichtigt bleiben.
Wer den WWF-Bericht aus dem Jahr 2007 gelesen hat, ist im Jahr 2013 alles – nur nicht überrascht. Nachhaltige Maßnahmen des vorbeugenden Hochwasserschutzes sind demnach die
- Verminderung des Schadenspotentials durch Rückbau und Verlagerung gefährdeter Siedlungen, Industriegebiete und sonstiger Bauwerke, die
- Gewährleistung eines verbesserten Wasserrückhalts in der Fläche, insb. in Hochwasserentstehungsgebieten, durch Neuaufforstungen, Waldumbau und Verhinderung der Neuversiegelung und die
- Schaffung neuer Retentionsflächen, insbesondere durch großflächige Deichrückverlegungen.
Wer im Übrigen meint, die Schaffung von Überschwemmungsflächen sei in Dresden wegen der Tallage keine Option, dem ist entgangen, dass der 2002er Pegel in Pillnitz unter dem von 1845 lag, in der Innenstadt aber darüber – eben weil selbst auf den Fluren Dresdens die Möglichkeiten für einen nachhaltigen Flutschutz noch nicht ausgeschöpft sind:
Uferstraße, Ecke Hedwigstraße: Der Zugang zur künftigen „Hafencity“
Konkret bedeutet das:
- Das Projekt „Hafencity“ (zumindest deren Teilgebiet bis zur Leipziger Straße) muss überdacht werden.
- Die Planung befestigter, bodenversiegelter, technisch ausgestattete Parkplätze am Blauen Wunder, zumal im ausgewiesenen Naturschutzgebiet, gehört in den Papierkorb.
- Bebauungspläne, die im festgesetzten Überschwemmungsgebiet liegen, müssen in Frage gestellt und zurückgezogen werden.
Deichläufer und Irrläufer
Die Politik denkt derweil in ganz andere Richtung: Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich will mit einer Bundesratsinitiative die Errichtung von Flutschutzbauten (das sind für ihn an erster Stelle Mauern und Deiche) beschleunigen und Widerstände aus dem Weg räumen. Wenn er in Grimma meint: „Ich bin dazu geneigt, die Mitbestimmung der Bürger bei so einem wichtigen Projekt außer Kraft zu setzen.“ dann heißt das, ihm genügen zwei Hochwasser in elf Jahren, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit außer Kraft zu setzen. Das ist Denken alter Schule.Arnold Vaatz, Sachsens Umweltminister a.D. und konservativer Wadenbeißer im Bundestag, assistierte im Focus: „Wir müssen ein Vetokratie in Deutschland verhindern.“
Wenn Helma Orosz als Oberbürgermeisterin dem sogleich pflichteifrigst nachlaufend das gleiche für Dresden verlangt, hat das ein Gschmäckle: Sie bezog ihre Wohnung im Gebiet des im März 2008 (!) festgestellten Bebauungsplans 669 „Wohnbebauung am Pappelwäldchen“ in Loschwitz – und musste am 3. Juni 2013 evakuiert werden. Wegen Hochwassers.
Ein Ausschnitt aus dem Themenstadtplan der Landeshauptstadt – blau unterlegt: die Überflutungsfläche von 2002, rot unterlegt: die Fläche des Bebauungsplans von 2008
Stanislaw Tillich, Arnold Vaatz und Helma Orosz weisen die „Schuld“ an Hochwasserschäden renitenten Bürgerinitiativen und Einzelpersonen zu, welche sich aus verschiedensten Gründen gegen einen rein technischen Hochwasserschutz wehren. Zugleich lenken sie vom eigenen Versagen ab. Und: Selbst wenn die Schuldzuweisungen gerechtfertigt wären, sind sie geradezu unverantwortlich in der gegenwärtigen, emotional aufgeheizten Lage, in der sich die Flutopfer befinden. Sie lassen die Lage unnötig eskalieren: Wer Morddrohungen gegen vermeintlich Schuldige ausspricht, darf sich durch solcherart Zuschreibungen aus dem politischen Raum nur bestätigt fühlen.
Krisenmanagement wünscht man sich anders.
Leben mit dem Fluss
Es ist bedauerlich, dass Helma Orosz den bislang erfolgreichsten Dresdner Bürgerbeteiligungsprozess nicht zur Kenntnis nimmt: Unter dem vielsagenden Titel „Leben mit dem Fluss“ wurde 2010/2011 um eine Lösung für den Stadtteil Laubegast gerungen. Zuvor hatte eine Bürgerinitiative zu Recht den als Ergebnis einer Voruntersuchung im Raum stehenden, über 2 Meter hohen stationären Hochwasserschutz am Ufer – „Die Mauer“ – vehement abgelehnt. Das komplexe Thema Hochwasserschutz wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht und die Beteiligung der Laubegaster an der Lösungsfindung war enorm, denn eine stationäre Mauer hätte das schöne, aus einem Fischerdorf hervorgegangene Laubegaster Ufer völlig zerstört.
In Laubegast fand ein von der Bevölkerung, der Stadtverwaltung und auch vom Land Sachsen getragener Beteiligungsprozess statt und jeder der Beteiligten weiß, dass es eine vernünftige Lösung gibt bzw. geben kann. Dass der gefundene Kompromiss wirkungsvoll ist, zeigte im Übrigen ein provisorischer Sandsackaufbau am alten Elbarm, der während des aktuellen Hochwassers nach den beschlossenen Plänen errichtet wurde. Und schließlich wissen alle, die die Bürgerveranstaltung am 7. Mai 2013 im Rathaus Leuben besucht haben, dass die Umsetzung des Ergebnisses momentan nicht voran kommt, weil das Land Sachsen den Vorgang Mitte 2012 auf Eis gelegt hat, bis Ende 2013 ein neues Wassergesetz beschlossen ist, welches den mobilen Hochwasserschutz regelt.
Der Bau von Hochwasserschutzanlagen, Deichen, wird vorrangig verantwortet und betrieben von der Landestalsperrenverwaltung – übermächtig nicht nur in Sachsen. Eben sie hat die Planung der Hochwasserschutzmaßnahmen am Laubegaster Ufer ausgesetzt. Anlass dafür ist der Streit, ob teurere mobile Spundwände anstelle einer festen, übermannshohen Ufermauer vom Land oder von der Kommune zu finanzieren sind.
Hätten das Land und die Landestalsperrenverwaltung den gemeinsam mit den Bürgern gefundenen Kompromiss beherzt umgesetzt, wäre Laubegast kein zweites mal im Elbewasser versunken.
Freitag, 14. Juni 2013, 3 Kommentare zu diesem Bericht auf Quo Vadis Dresden