Bücherverbrennung 1933
In Dresden wurde der Anfang gemacht
Am 10. Mai jährt sich zum achtzigsten Mal die Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz. Doch die Werke vom NS-System verfemter Autoren brannten schon früher. Die Dresdner hatten es besonders eilig. Fünf Wochen nach der "Machtergreifung" und zwei Tage nach der allen rechtsstaatlichen Maßstäben hohnsprechenden Reichstagswahl am 5. März, loderten die Flammen aus Bücherscheiterhaufen am 7. und am 8. März 1933 vor der Volksbuchhandlung und am Wettiner Platz.Frankfurter Allgemeine Zeitung 7. Mai 2013, Seite 27
Wir übergeben den Flammen
Dresden - Berlin - Deutschland
von Peter Bäumler und Mattias Lienert(ungekürzt mit Literaturangabe)
„Dieses Feuer kehrt zurück. Es wird einen großen Bogen gehen und wieder zu uns kommen“ war der Ausspruch eines Dresdners am Morgen des 10. November 1938. In der Nacht zuvor war die Synagoge der Stadt niedergebrannt worden. Und das Feuer kehrte zurück im Februar des letzten Kriegsjahres 1945 – mit einer Dresden zerstörenden Gewalt. Der Flammenbogen aber spannt sich zwölf Jahre, die „tausend“ hätten werden sollen, zurück.
Die Dresdner hatten es nach Hitlers „Machtergreifung“ eilig, bei aller Bildung, aller Kultur dieser Stadt. Schon fünf Wochen danach und zwei Tage nach der allen rechtsstaatlichen Maßstäben hohnsprechenden Reichstagswahl am 5. März 1933 loderten Flammen der „spontan“ inszenierten Bücherverbrennung. Am 7. März vor der Volksbuchhandlung an der Großen Meißner Straße und wieder am 8. März 1933 am Wettiner Platz. Ein zeitgenössisches Foto dokumentiert, wie bewaffnete Polizisten sich ganz offensichtlich schützend vor das Autodafé stellten und zuließen, dass ein SA-Sturm Stapel aufgeschichteter Bücher aus den Beständen der Volksbuchhandlung und aus dem Verlagshaus der sozialdemokratischen ‚Dresdner Volkszeitung‘ anzündeten. Dies hätte sich noch abtun lassen als Handeln eines nationalistisch radikalisierten Mobs, der sich auf der Gewinnerseite ein besseres Auskommen versprach. Doch reagierten – von rühmlichen Ausnahmen abgesehen – auch die maßgeblichen Eliten der Stadt nicht anders, die weit mehr noch zu Profiteuren der „nationalsozialistischen Revolution“ wurden. Sie waren sehr schnell auf den Zug aufgesprungen und vollzogen, tolerierten bestenfalls, den Zivilisationsbruch.
Die renommierte Dresdner Technische Hochschule war dabei keine Ausnahme. Bereits vor der Machtübertragung hatte der NS-Studentenbund bei freien Wahlen die Mehrheit im studentischen Parlament errungen, maßgebliche Dresdner Professoren hatten sich neben Hochschullehrern anderer deutscher Universitäten und Hochschulen bereits Ende Juli 1932 für Hitler und seine NSDAP ausgesprochen. Die Aktivitäten der NS-Studentenbundführung in München fielen auf fruchtbaren Boden. Am 1. April 1933 veröffentlichte der Vorstand der Dresdner Studentenschaft gemeinsam mit dem örtlichen NS-Studentenbund einen Aufruf, in dem allen Juden der Zutritt zum Studentenhaus verwehrt wurde. Zwei Wochen später erschien ein weiterer Aufruf in der Presse, in dem für den 12. April bis 10. Mai 1933 ein „Aufklärungsfeldzug wider den undeutschen Geist“ angekündigt und „12 Thesen wider den undeutschen Geist“ publik gemacht wurden. Die auflagenstarken ‚Dresdner Neuesten Nachrichten‘ leisteten Schützenhilfe.
Vorbereitungen
Ende April 1933 informierte die Dresdner Studentenschaft ihre Berliner Führung vom Abschluss der Plakatierung und vorbereiteten hetzerischen Pressebeiträgen, mit denen die studentische Bücherverbrennung als Höhepunkt des „Aufklärungsfeldzuges“ angekündigt wurde. In so genannten Bücherberatungs- und Sammelstellen wurden Bücher nach vorliegenden „Schwarzen Listen“ „begutachtet“, wobei beispielsweise die Sächsische Landesbibliothek, Dresdner Leih- und Schulbibliotheken und das Studentenhaus als Anlaufstellen fungierten. Aus eigener Initiative hatten die Dresdner Akteure den Rundfunk in die Kampagne einbezogen. Eine Verordnung des sächsischen Justizministeriums unter Otto Thierack von Anfang Mai 1933 legitimierte „Die Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild“, die im dringenden Interesse „der sittlichen Erneuerung des deutschen Volkes“ läge.
Schandpfahl
Unter dieser Begleitmusik nahm am 4. Mai 1933 eine Abordnung der Studentenschaft der TH Dresden in der überfüllten Aula des Hauptgebäudes das nationalsozialistische Studentenrecht aus den Händen von Rektor Oskar Reuther (1880-1954), einem renommierten Bauhistoriker, entgegen. Danach waren Studenten jüdischer Herkunft von der verfassten Studentenschaft ausgeschlossen. Im Anschluss daran versammelten sich die Studenten und Professoren zur Einweihung eines „Schandpfahls“ zur Schaustellung der Namen Derjenigen, „die in Dresden gegen das nationale Gewissen verstoßen und nicht mehr wert sind, geachtet zu werden“. Als erster wurde an jenem Tag der angesehene Physiker Harry Dember (1882-1943) denunziert, was auch Victor Klemperer in seinen Tagbüchern vermerkte. Nach diesem menschlichen Tiefpunkt emigrierte Dember in die Türkei und die USA, wo er seine Lehrtätigkeit fortsetzte. Er gehörte zu einer Reihe von Dresdner Hochschullehrern und Förderern der ‚Alma Mater dresdensis‘, die in die Emigration gezwungen wurden, wie Angehörige der Bankiersfamilie Arnhold – in Geschichte und Gegenwart bedeutende Sponsoren der Dresdner Universität.
Woge über Deutschland
Deutschlandweit fanden von März bis Oktober 1933 insgesamt 93 Bücherverbrennungen in 70 Städten statt. Vor Ort organisiert wurden die Autodafés überwiegend von der Deutschen Studentenschaft und der Hitlerjugend. In das kollektive Menschheitsgedächtnis eingegangen ist die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz mit dem gespenstischen Auftritt von Propagandaminister Joseph Goebbels. Bestandteil dieser Inszenierung war auch die am selben Tag gehaltene Antrittsvorlesung von Alfred Baeumler (1887-1968), der Anfang 1933 als Ordinarius für Politische Pädagogik von der Technischen Hochschule Dresden an die Berliner Universität berufen worden war. Im Anschluss daran formierte sich ein Fackelzug zum Opernplatz. Begleitet von „Feuersprüchen“ wurden vor Mitternacht Tausende Bücher Opfer der Flammen.
Makaberes Fanal
Fast zeitgleich fand auch die in Abstimmung mit der Berliner Studentenführung organisierte Bücherverbrennung an der Dresdner Bismarcksäule statt. Zunächst hatten sich Hunderte Studenten, vielfach in SA- oder SS-Uniform, im Saal des Studentenhauses auf der Mommsenstraße 13 eingefunden. Dort sollte die „Festrede“ des den Nationalsozialisten verbundenen Dichters Will Vesper (1882-1962) auf die bevorstehende Bücherverbrennung einstimmen. Unter den Anwesenden befanden sich natürlich der amtierende Rektor und beispielsweise der höchste Repräsentant des Militärs in Dresden, Generalleutnant Freiherr von Gienanth. Nach einem Pressebericht formierte sich anschließend ein Zug von Gruppen brauner SA-Kolonnen sowie buntbemützter Burschenschaften, begleitet von einer Schar unzähliger Neugieriger. Eskortiert von Polizei marschierten unter Trommel- und Pfeifenklang in langen Reihen alle auf die Höhe zur Bismarcksäule, einem beliebten Dresdner Ausflugsziel. Nach Ankunft des Marschblocks am Fuße der Säule steckten Studenten einen gewaltigen Stapel aufgeschichteter Bücher, die vorher in einer großangelegten Sammelaktion auf der Grundlage spezieller Listen zusammengetragen und „begutachtet“ worden waren, in Brand. Mit aufputschenden Reden heizten der Führer des NS-Studentenbundes und der Älteste der Dresdner Studentenschaft mit Angriffen auf die Gegner des Nationalsozialismus die Stimmung an. So wurden unter vorgegebenen „Feuersprüchen“ zuerst die Werke von Karl Marx mit dem Ruf „Wir wollen kein Kapital haben, sondern Deutschland“ Opfer der Flammen. Ebenso wurde das Erfurter Programm der SPD ins Feuer geschleudert. In jener Nacht verbrannten die Werke von Heinrich Mann, von Erich Kästner, von Kurt Tucholsky, von Alfred Kerr, von Emil Ludwig sowie vom Verfasser des wohl berühmtesten Antikriegsromans „Im Westen nichts Neues“, Erich Maria Remarque. Das gleiche Schicksal erlitten die Bücher des bekannten Berliner Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld, des Psychologen Siegmund Freud und des Pazifisten und Pädagogen Friedrich Wilhelm Foerster.
Das Feuer aber kehrte nach Dresden zurück – in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945, mit einer die Stadt zerstörenden Kraft.
Nachwort
Die mehr als 90 Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten in 70 Städten während des ersten halben Jahres der nationalsozialistischen Diktatur sind inzwischen gut aufgearbeitet und fester Bestandteil der Erinnerungskultur. Als Alfred Kantorowicz am 10. Mai 1934 in Paris die „Deutsche Freiheitsbibliothek“ eröffnete, die auch unter dem Namen „Bibliothek des verbrannten Buches“ in die Geschichte eingegangen ist, war noch nicht bekannt, wie tief gerade in bürgerlichen Kreisen der Hass auf demokratisches, liberales und nicht zuletzt linkes Denken verwurzelt war. So ging noch bis in die folgenden Jahrzehnte die Forschung von einer sehr stringenten Organisation auch der Bücherverbrennungen ausschließlich durch Nazi-Kohorten aus, initiiert namentlich von Joseph Goebbels.
Das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam erarbeitet eine ‚Bibliothek verbrannter Bücher‘, deren erste 10 Bände im Olms Verlag, Hildesheim-Zürich-New York, erschienen sind. Dazu zwei Dokumentationsbände "Orte der Bücherverbrennung" und "Vorgeschichte und Folgen der Bücherverbrennungen 1933".
Es spricht für die heutige Technische Universität Dresden, dass sich ihre Studierenden aktiv mit dem dunklen Kapitel der Bücherverbrennung in Dresden vor der Bismarcksäule auseinandersetzen.
von Peter Bäumler und Mattias Lienert (14.4.2013)