John Neumeier 40 Jahre Hamburg Ballett
»Sympathisches Gespräch mit Gret Palucca ...«

Veröffentlicht: Musik in Dresden, Rezension, Feature 17.7.2013
Der junge Tänzer aus Milwaukee, im Staat Wisconsin der USA, hatte gedacht, nur ein Jahr etwa in Deutschland zu bleiben, als er 1963 die Chance eines Engagements bei John Cranko bekam. Marcia Haydée hatte ihn empfohlen. In der Talentschmiede des „Stuttgarter Ballettwunders“ avancierte John Neumeier zum Solisten und schuf erste eigene Choreografien. Dreieinhalb Jahre Staatsoper Frankfurt am Main folgten, jetzt schon als Ballettchef, mit aufsehenerregenden Neufassungen großer Handlungsballette von Tschaikowskis »Nussknacker«, »Dörnröschen« bis Ravels »Daphnis und Chloe«. Die Compagnie brachte er beachtlich weiter, doch musste er um den Rang des Balletts als eigenständige Sparte und Etats unentwegt ringen. So passte es, dass den Einunddreißigjährigen Hamburgs Opernintendant mit Talentgespür, August Everding, 1973 zu sich holte „neue Stadt, neue Compagnie, neue Dimension“. Als der umtriebige Everding bald danach die Generalintendanz in München annahm, versuchte er ihn mit zu ziehen - erfolglos, John Neumeier blieb in Hamburg, eine Lebenszeit lang, bis heute.
Ballettwunder Hamburg
Der junge Tanzchef aus Frankfurt wurde von den Hanseaten, ihrer Presse, kühl aufgenommen. Das Eis brach, als Neumeier zum Auftakt Scriabins »Désir« als Pas de deux in einer Essenz aller Tanztraditionen hinreißend auf die Bretter einer „Werkstatt“ brachte. Die Ballett-Werkstatt erwies sich aus dem Stand als Erfolgsformat. Die thematisch ausgerichteten BW moderiert der Meister meist selbst. Bis zu acht Ballett-Werkstätten im Jahr bilden das Rückgrat der Tanzpräsentationen des Hamburg-Ballett. Sie entwickelten aus neugierigen Zuschauern im Lauf der Jahrzehnte – am 5. Mai 2013 war die 200. Ballett-Werkstatt auf der Bühne - das spezifisch hamburgische Ballett-Publikum mit Expertise in Tanzkunst, das den Erfolg Neumeiers trägt und weiter beflügelt.
Dieser Marathon einer einzigen Compagnie, nur zwei Gastspiele waren dabei, wurde bekrönt von einer grand Gala am letzten Spieltag der Saison 30. Juni 2013. An diesem Abend feierte Hamburg mit Neumeier dessen fabelhafte Compagnie Hamburg-Ballett, seine 120 choreografierten Ballette in den 40 Hamburger Jahren, feierte auch triumphal ihn, sich selbst.
Nijinsky-Gala XXXIX – 40 Jahre John Neumeier

Neumeier verzauberte mit einer Auswahl ausschließlich seiner Werke von der Anfangsphase bis heute in einem Programm, das „Von den siebziger Jahren bis in die Neunziger - Das einundzwanzigste Jahrhundert und die Zukunft“ überschrieben war. Overtüre des Blicks „zurück nach vorn“ war ein Pas de deux »Die Möwe« von 2002 zur Musik Schostakowitschs, ein Tänzer betritt behutsam das Podest, umschmeichelt die Bretter der Bühne… Der Blick zieht sich über die schon legendären Ballette »Daphnis und Chloe» Musik Ravel, »Othello« von Arvo Pärt, Tschaikowskis »Nussknacker« in insgesamt 18 Piecen über den Abend. Überwiegend Pas de deux weisen auf die Hinneigung Neumeiers zu dieser Form, zeigen was seine Arbeiten so einmalig macht, das Sichtbarwerden von Gefühlen durch Tanz. Berührend der Abschluss, wie in »Dritte Sinfonie Gustav Mahler« die Vorläufer, ehemalige Solisten des Ensembles an junge Tänzerinnen und Tänzer übergeben.
Generationswechsel

Die Kulturförderprogramme des Bundes schlössen auch zunehmend Tanz und Ballett ein. Das von Neumeier 2011 initiierte und am Ballettzentrum Hamburg angesiedelte Bundesjugendballett wird mit jährlich 750.000 Euro weiter finanziert, zunächst bis 2014. Mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes wurde 2010 die Stiftung »Tanz - Transition Zentrum Deutschland« gegründet. Neumann kündigte auch einen Tanz/Ballett Kongress in 2014 an.
Neumeier in Sachsen, in Dresden

(*) Tatsächlich sind es sogar sieben Gastspiele, welche das Hamburg-Ballett hier gegeben hat. In Detail vom historischen Archiv der Semperoper, Jannine Schütz, zusammengestellt mit einer Aufstellung aller Aufführungen in Dresden und freundlich zur Veröffentlichung gegeben.
DDR - Tournee
Erstmals in Dresden gastierte das Hamburg-Ballett zu den Musikfestspielen des Jahres 1981. Bejubelte wurden die Auftritte des Balletts im Großen Haus der Staatstheater mit Neumeier-Choreografien zu »Gustav Mahler Dritte Sinfonie« und »Ein Sommernachtstraum«.In großer Tournee bereisten 1987 die Hamburger mit Solisten, Chor und Orchester ein weiteres Mal den sozialistischen Osten Deutschlands. Die Opernhäuser Leipzig und Karl-Marx-Stadt, in Berlin die Staatsoper. Dort kam die getanzte »Matthäus-Passion« auf die Bühne, deren Uraufführung 1980 als »Skizzen zur Matthäus-Passion« in der Kirche St. Michaelis (Hamburger Michel) sehr kontrovers aufgenommen worden war. Dresden ist ebenso auf dem Gastspielplan der Hamburger gewesen, doch dürfte der Auftritt in der Stadt im Tal der Ahnungslosen aus irgendwelchen politischen Gründen wie auch immer, gestrichen worden sein. Der Textband „In Bewegung“ enthält lediglich den Eintrag Neumeiers „… in Dresden sympathisches Gespräch mit Gret Palucca.“
Nach der Dresdner Premiere von »Ein Sommernachtstraum« an der Semperoper 2002 wurde Neumeier mit dem Saeculum Musik-Festspiel-Preis ausgezeichnet, der von der Uhrenmanufaktur Glashütte ausgelobt wird. Seit 2003 ist Neumeier Ehrenmitglied der Sächsischen Staatsoper Dresden. John Neumeier der als junger, amerikanischer Tänzer nur ein Jahr in Deutschland bleiben wollte, es wurde daraus 50 Jahre und ein Lebenswerk. (Bäu 6.7.2013)
Stiftung John Neumeier
Anmerkenswert ist, dass in 2006 Neumeier eine Stiftung errichtete, bestimmt für Tanzwissenschaft, Forschung, Dokumentation und Präsentation. Er brachte in die Stiftung seine international beachtete Tanz- und Ballettsammlung ein, die einen Fokus auf Nijinsky hat.
Opulentes Buch 39. Hamburger-Balletttage 3.6. - 30.6.2013 „40 Jahre John Neumeier in Hamburg“, Herausgeber Hamburgische Staatsoper 2013, 464 Seiten, Abbildungen sw/farbe, gebunden 21 x 27 cm, 25 Euro, bei Staatsoper Hamburg und Buchhandel