Das Dresdner Volkshaus der Populärkultur geht verloren
Streit um Totalumbau des Dresdner Kulturpalastes - Ein Kulturproblem
Im Interview Wolfgang Kil: Die Verlustliste an Kulturdenkmalen der Nachkriegsmoderne ist in Dresden leider schon recht lang, nun besteht die Gefahr, dass ein weiterer Verlust hinzukommt, und diesmal ein unendlich gravierender.Der Kulturpalast, erbaut 1969, stellte für Dresden gewissermaßen einen Höhepunkt des damaligen Wiederaufbaukonzepts dar – obwohl er gerade kein Wolkenkratzer wurde, darf man ihn doch in gewisser Weise als Stadtkrone begreifen. Bei seiner Errichtung setzten die Architekten die Prinzipien des damals international gültigen Stils, der Moderne, durch. Den Architekten Leopold Wiel und Wolfgang Hänsch gelang ein Bau von bemerkenswerter Statur und Qualität, das sich ohne Abstriche in die Reihe bedeutender Stadthallen und Theaterbauten einreihen lässt, die in jenen Jahrzehnten überall in Westeuropa entstanden. Deshalb ist er in seiner äußeren Form ja heute als bedeutendes Architekturdenkmal geschützt.
Wenn das große, gläsern schimmernde Haus auf festem Sockel außen so bleibt, was geht denn da verloren?Wolfgan Kil: Was die Dresdner und ihre Touristen von außen nicht so wahrnehmen, was sie wahrscheinlich gar nicht wissen können: Das eigentlich Herausragende an diesem Architekturprojekt steckt im Inneren, in der Struktur der Räume, in der Vielfalt und Beweglichkeit der Nutzungen. Eine noble Innenarchitektur schuf den Rahmen sowohl für festliche Konzerte und Empfänge wie für Kinderfeiern, Jazzabende oder Laienschauspiel. Dieses Konzept einer „volkstümlichen Vielfalt“ unterschied sich wesentlich von den monofunktionalen Konzepten traditioneller Stadthallen. Ursprünglich sollte noch viel mehr Platz für eigene kulturelle Aktivitäten der Besucher geschaffen werden, doch aus Brandschutzgründen musste diese totale Flexibilität am Ende doch eingeschränkt werden. Wegen dieser bunten Vielfalt an Nutzungen würde ich den Dresdner Kulturpalast viel lieber mit dem Centre Pompidou in Paris vergleichen, oder mit dem Bürgerzentrum „Agora“ im holländischen Dronten – das waren damals die radikalsten Innovationen in Sachen demokratischer Bürgerkultur.
Sie stellen den Kulturpalast auf eine europäische Ebene von Bürger- und Kulturhäusern und diese Qualität sehen Sie in Gefahr … Wolfgang Kil: Ich gebe zu: Einem breiteren Publikum ist solch ein Vergleich natürlich nur schwer zu vermitteln. Und überhaupt ist ja leider viel vom demokratischen Aufbruchsgeist und Elan der 60er und 70er Jahre auch im Westen wieder in Vergessenheit geraten. Umso wichtiger wäre also heute, deutlich zu machen, dass es bei der Streitfrage um den Dresdner Kulturpalast nicht bloß um Bauhistorie, sondern ganz klar um europäische Kulturgeschichte geht.
Es ist doch kein Zufall, dass sich die Anhänger der verschiedenen Sparten der Populärkultur, Publikum wie Darbietende, sich so massiv für das Haus engagieren, denn für sie ist es eben nicht bloß ein praktisches Bauwerk, sondern Voraussetzung und Anerkennung ihrer Rolle in der Gesellschaft. Wie dies für alle gilt, natürlich auch für die Besucher klassischer Konzerte. Wenn sich also die Leute an Veranstaltungen seit ihrer Jugend zurückerinnern, dann sind sie sich dessen vielleicht nicht bewusst, aber was sie an dieses Haus bindet, ist ein bestimmtes kulturelles Lebensgefühl. Und das ist jetzt in Gefahr.
Für den Erhalt der äußeren Gestalt des Kulturpalastes, also der Dominante am Altmarkt, hat die Denkmalpflege glücklicherweise gesorgt. Aber drinnen wird mit dem geplanten Umbau alles verloren gehen, wovon die Menschen als Erlebnis erzählen können. Sie reden ja nicht über „Architektur am Altmarkt“, sondern von Lebendigem, von Musik, Tanz, Rock, Feiern. Mit einem inneren Totalumbau sind es eigentlich diese erinnerten Erlebnisse, die da jetzt ausgeräumt werden. Das geschieht bei Denkmalen immer, und erst, wenn das Objekt weggebaggert ist, merken die Leute, was ihnen verloren ging. Identifikation bildet sich an dem aus, was man erlebt. Und das geschieht überwiegend drinnen. Nach tollen Erlebnissen drinnen beginnt man womöglich das äußere Bild zu schätzen – das ist doch bei der Semperoper wahrscheinlich ganz genauso.
Viele haben nichts gegen das Verschwinden außen, innen der ungeliebten „DDR-Architektur“ wie sie es nennen … Wolfgang Kil: Gern würde ich eine wachsende Akzeptanz der Nachkriegsmoderne loben, doch dass die Leute jetzt auch in Dresden für die Formen dieser Stilepoche eintreten, hat meines Erachtens eher mit Trotz zu tun. Viel zu viel ist in dieser Stadt schon aus der Zeit des Wiederaufbaus verschwunden, und jetzt kommt also auch noch der Kulturpalast auf die Liste der gefährdeten Objekte. Bei der kulturellen Verfasstheit der Stadtgesellschaft, wie ich sie sehe, glaube ich nicht, dass man hier für das Haus um seiner selbst willen streitet. Da geht es schon eher um den Traditionsort, um die Möglichkeit für Veranstaltungen vielfältiger Art, um die schiere Größe und die Bequemlichkeit, hier alle Arten von Kultur mitten in der Stadt zu erreichen. So schön es wäre, und auch so schmeichelhaft für den Architekten Wolfgang Hänsch, wenn es hier allein um den Wert der Architektur ginge. Aber beim Kulturpalast geht es ganz wesentlich um die Werte eines lebendigen Kulturbegriffs der ganzen Gesellschaft. - Sicher, das ist schwerer zu vermitteln, aber als Streit ist er wichtig genug, geführt zu werden.
Das Gespräch führte Dr. Peter Bäumler