Gut Gamig

RPK - Gut Gamig e.V.

Gamig 0Im Mittelalter Klostergut, Vorwerk, Rittergut - heute Rehabilitationsstätte psychisch Kranker auf Gut Gamig. Getragen von einer humanitär sozialen Vision begeisterte die Pirnaer Ärztin Dr. Renate Frühauf ihre frühen Unterstützer, überzeugte Förderer und Mittelgeber, gewann Mitglieder und Freunde für den Trägerverein und schuf mit unerschöpflicher Tatkraft eine der bedeutentsden unabhängigen Sozialeinrichtungen im Umkreis Dresdens.

Der Förderer erster Stunde von Renate Frühaufs Aufbauwerk, Baden Württembergs ehemaliger Ministerpräsident Lothar Späth, starb am 17. März 2016 im Alter von 78 Jahren. Er litt an Demenz.

veröffentlicht in Sächsische Immobilienzeitung 1/2016, Seite 8

veröffentlicht Dresdner Neueste Nachrichten 5.9.2016, Seite 12, Heimatgeschichte

Von Rittergut zur Reha-Einrichtung

      Mit zittriger Hand hob er eine aus dem Haufen goldgelber Früchte der Herbsternte, die er im Schubkarren über den Hof fuhr. Schöne Quitten, flüsterte der fröhlich-strahlende Mann dem Besucher, man kann sie kaufen im Hofladen da. Eine freundliche Begrüßung mit Symbolkraft für diesen besonderen Ort.

Vorfeste, Klostergut, Rittergut
     Zunächst zur seiner Geschichte. Erzählt wird, dass auf der Anhöhe mit weiter Sicht im Einzugsbereich eines einst wichtigen Verbindungsweges nach Böhmen schon zu sehr früher Zeit die Burggrafen von Dohna eine Vorfeste hatten. Auch, dass das frühe Gamig ein zum Kloster Altzella bei Nossen gehöriges Klostergut gewesen sei. In schriftlicher Überlieferung ist Gamig erst ab 1411 erwähnt. Die Namensgebung der Siedlung geht auf das slawisch/sorbische ‚kameńk, kamiyk‘ für Stein, Steinhaufen, Steinberg zurück, was auf die die Erhebung des Siedlungsgebiets aus der Hochfläche weist. Belegt ist, dass ab 1445 ein Vorwerk bestand, das zum Rittergut gewachsen die Grundherrschaft der umliegenden Dörfer wahrnahm. Gründend auf den ersten urkundlich erwähnten Besitzern Familie Mennewitz, erlebte Gamig einen sehr bewegten Besitzerwechsel zwischen in Sachsen verbreiteten Geschlechtern. Nur die bekanntesten zu nennen, waren es die von Bärenstein, die von Schönberg – welche um 1575 das erste Renaissance-Schloss errichteten - General von Hanow (fälschlich Hanau), von Heinicke/Hünicke – deren Epitaph die Kapelle schmückt – von Vitzthum, von Lüttichau. Von den letzten erwarb der Dresdner Industrielle Höntsch – Gewächshäuser - um 1900 Gamig. Register besagten, dass zu jener Zeit die Gutsflur eine Fläche von 173 Hektar umfasste und Gamig 10 bewohnte Häuser mit 57 Einwohnern hatte. Im Besitz der Familie Höntsch verblieb das Gut mit seinen Ländereien bis zur Enteignung 1945.
Nach Semper benannt

      Der große, im Wesentlichen heute noch existierende, Bautenbestand des Rittergutes ist auf einem historischen Vermessungsplan von 1690 schon ausgewiesen. Um die rechteckige Hofanlage mit einem zentralen Brunnen gruppieren sich das Wohnschloss, Wirtschaftsgebäude, ein Brauhaus mit Malzdarre und das Renaissancehaus mit Pferdestall. Das später zum Neuen Schloss ausgebaute alte Schloss, öffnet sich mit seiner Beletage zu einer barocken Parkanlage. Einen letzten großen Umbau zur Schlossanlage spätklassizistischen Stils gab es um 1840 nach Plänen des Dresdner Architekten Woldemar Hermann. Wahrscheinlich wirkte Gottfried Semper mit, was dem hohen Wohn- und Bibliotheksblock den Namen Semper-Turm zutrug und der Schlosskapelle romanisierende Anklänge ihrer Außenverzierungen.

Die Gutskapelle
     In beherrschender Lage auf der topografisch höchsten Stelle des Gutsareals steht die im weiten Rund sichtbare Kapelle. Der über einer spätmittelalterlichen Gründung um 1550 bis 1575 errichtete massive Kernbau erhielt bei späteren Umbauten ein saalartiges Obergeschoss aufgestockt, was die Kapelle zu einer ungewöhnlich zweigeschossigen macht. Innen tragen vier schlanke, achteckige Pfeiler ein spätgotisches Sterngewölbe, hohe maßwerkverzierte Rundbogenfenster belichten den Innenraum, eine Holzfalltür führt in die untergelagerte Gruft mit Särgen jeweiliger Familien der Gutsbesitzer. Die in den Jahrhunderten angepasste und erweiterte Ausstattung ist von hohem künstlerischen und denkmalpflegerischen Wert: der Altar, die Renaissance-Kanzel, ein hochbarocker Sandstein-Epitaph, Stehplastiken, Totenschilder, barock kassettierte Türen. Heute besticht das Kirchengebäude, als die gesamte Anlage überragende Dominante, durch ihre nach Restaurierung wieder frische Farbigkeit, das für eine Kapelle mächtige, romanisch überformte Gebäudevolumen und den hohen, mit einer flachen Spitzhaube gedeckten Turm.

Die Landwirtschaft
      Das Gut war von Kriegszerstörungen verschont geblieben wie auch die Kapelle. Doch für diese begann 1945 mit der Besetzung durch Russen eine Leidenszeit der Schändung und des Missbrauchs. Schießübungen hätten die Militärs dort veranstaltet, aber auch Deutsche, wird erzählt. Später dann ruinierten die zweckentfremdete Nutzung als Lager von Erntegut, Pflanzenschutzmitteln, Kleintierhaltung und keinerlei Erhaltungsbemühung bis zum Verfall der Kapelle, der erst nach der Wende mit Räumung des Inneren und Notreparaturen an Dach und Gebäude gestoppt werden konnte.

     Das ‚Rittergut‘ wandelte sich zu einem Versorgungsbetrieb der Roten Armee, nach deren Abzug zum ‚Volksgut‘, schließlich zu einem der landwirtschaftlichen Betriebe der VEG Obstproduktion Borthen. Die Belegung und Nutzung der Gutsgebäude wechselten, wie der Wohnturm mal als Silo diente, dann wieder bewohnt wurde. Über die Jahre intensiver Benutzung ohne nennenswerte Aufwendungen zum Erhalt verkamen die Häuser. Total abgewirtschaftete wurden niedergerissen, Anlagen verschlissen aber das Gut funktionierte als landwirtschaftliche Einrichtung weiter bis zum Ende des ‚Volkseigentums‘ 1990.

Neustart als soziale Einrichtung
      In der Zeit des gesellschaftlichen Wandels mit dem Rückzug des Staates von Betrieb und aus Trägerschaft sozialer Einrichtungen hatte Renate Frühauf die Vision auf dem verwaisten Gamiger Gut eine freie Reha- und Betreuungsstätte für psychisch Kranke und seelisch Behinderte auf dem anzusiedeln. Die approbierte und im Kreisrehabilitationszentrum Pirna-Sonnenstein tätige Nervenärztin entwickelte ihr Konzept und gewann dafür ideelle und materielle Unterstützer bis hin Prominenten, wie den damaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Lothar Späth. Überzeugt von der Projektidee, trat die Erbengemeinschaft der Familie Höntsch von ihrem Anspruch auf Rückübertragung zurück. Der Freistaat Sachsen erwarb die Gutsgebäude und zugehörige 170 Hektar umfassenden Ländereien und stellte sie dem 1991 gegründeten Verein ‚Gut Gamig e.V.‘ in Erbbau- und Landpacht Verfügung.

     Was zunächst im Kleinen begann, hat sich zu einer lebendigen Sozialeinrichtung zur medizinischen, sozialen und beruflichen Rehabilitation von psychisch Kranken entwickelt. Heute leitet Renate Frühauf mit ihrer Tochter die ‚RPK-Gut Gamig‘ mit 80 Beschäftigten. Das sind Fachärzte, Therapeuten, Sozialarbeiter/Innen und die Arbeitsanleiter Handwerk und Landwirtschaft, welche jeweils 12 Rehabilitanden anleiten und betreuen. Insgesamt sind auf Gamig etwa 200 behinderte Menschen im Alter von 16 bis 68 Jahren, in ambulanter wie stationärer Betreuung. Ein neues Haus bietet 25 komfortable Alleinwohnplätze für temporären oder längeren Genesungsaufenthalt. In den betreuten Werkstätten - Möbelrestaurierung, Tischler- und Stuhlflechterei, für Keramik, Weber- und Schneiderei, wie in der Landwirtschaft – werden Behinderte entsprechend Fähigkeit und Leistungsvermögen zur beruflichen Integration geführt. Der Verkauf kreativer Handwerksprodukte wie der Werkstattleistungen subsidieren die Einrichtung. Genauso die ökologisch bewirtschaftete Landwirtschaft. Bio-Schaffleisch, -Gänse, -Gemüse, -Obst aus Gamig sind bei Dresdner
Spitzengastronomie gefragt.

     Gebäude des Gutsgeländes wurden renoviert, das Renaissancehaus denkmalgetreu restauriert, Ställe und Scheunen zu Werkstätten ausgebaut. Grau ist noch das Schloss mit seinen Arkaden und dem Turm. Es ist ein Herzenswunsch von Renate Frühauf, es baldigst gründlich sanieren und ausbauen zu können. Geschaffen werden soll eine Begegnungsstätte insbesondere für junge Menschen mit Herberge und Restaurant-Café. Dieses allerdings gibt es seit Jahren schon, es zieht beliebt werdend an den Wochenenden immer mehr Gäste an.

      Die Gutskapelle konnte mit Sonderfördergeldern, Spenden und Eigenmitteln von 2010 an restauriert werden, nur noch manches der inneren Ausstattung wartet auf die Arbeit der Restauratoren; sowie die Spenden dafür fließen.

     Für Renate Frühauf und viele Gamiger die herauf finden ist dieser Ort ein Besonderer „In der Stille innen, der Weite draußen, lässt sich etwas erahnen von einem größeren Zusammenhang.“ Nicht nur zum Tag der offenen Tür lohnt sich ein Besuch.

Gut Gamig e.V. -
Rehabilitations- und Begegnungsstätten,
Mitglied imDiakonischen Werk der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens e.V.

01809 Dohna Ortsteil Gamig, www.gut-gamig.de

Gutsladen Donnerstag 12–17/Sommer 18 Uhr

Schlosscafé Mittwoch–Sonntag 12–17/Sommer 18 Uhr

Frühlingsfest/Tag der offenen Tür/Konzert 30. April 2016



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