Zweimal »Lohengrin« mit Sarah Maria Sun
Salvatore Sciarrinos Kammeroper in Salzburg und Dresden
Die großartige Interpretin und Solistin des österlichen Salzburger Ein-Frau-Stücks »Lohengrin«, Sarah Maria Sun, gastiert im gleichen Stück auch drei Mal an der Semperoper Dresden – in neuer Inszenierung und Einrichtung des Stücks für die Studiobühne SEMPER ZWEI.veröffentlicht Musik in Dresden 27. April 2017, Rezensionen
Zweimal Lohengrin
Gleich zwei »Lohengrin« sind aufgeführt, in Salzburg einer und einer in Dresden, aber nicht um den Helden im Wagner‘schen Mythos geht's, sondern um Elsa in Salvatore Sciarrinos »Lohengrin«, einer vieldeutigen zeitgenössischen Kammeroper. Damit setzten das Leitungsduo Peter Ruzicka und Christian Thielemann der Salzburger Osterfestspiele zum 50-Jahre-Jubiläum den Akzent einer kleinen Programmerweiterung, die auch bleiben soll: die Osterfestspiele wollen künftig jedes Jahr eine Kammeroper präsentieren, die auch nachfolgend auf die Studiobühne Semper Zwei‘ nach Dresden übernommen wird. Für 2018 soll das »Satyricon« von Bruno Maderno sein.Der sizilianische Avantgarde-Komponist Salvatore Sciarrino ist bekannt für vielfältiges Kammermusikschaffen und seine Musiktheaterwerke. Nach einer kleinen, romantisch-symbolistischen Erzählung des französischen Dichters Jules Laforgue aus dessen Sammlung ‚Moralités légendaires‘ von 1887 schrieb und komponierte er »Lohengrin. Azione invisibile per solista, strumenti e voci«, uraufgeführt in Mailand 1983. Das 50-minütige Ein-Frauen-Dramolett bettet ein feinnerviges Psychogramm Laforgues – unverkennbar die aufkommende Psychoanalyse – in ein Klanggemälde aus Vokal-Artistik der Elsa, die sich über die Lautmalerei des Orchesters erhebt. Es erzählt von einer Vermählungsnacht - und berührt insofern Richard Wagners »Lohengrin« weil sie dort nicht vorkommt aber fehlt. Elsa die einzige handelnde Person, ist von Lohengrin verlassen. Es hatte schon nicht gut begonnen „Wir trauten uns gefangen in Verlegenheit und Schweigen“. Der so Angetraute konnte mit der Gemahlin nun garnichts anfangen, zu magere Hüften, er wiederstand ihrem Wollen und Locken "Ich bin schön, schön, schön ...". Gar dass der Edle entschwand wie er gekommen war mit einem Schwan aus Daunenfederwolken des zerfledderten Kissens vom Hochzeitsbett.
Salzburg Regisseur Michael Sturminger mit seine Kostüm- und Bühnenbildner Renate Martin und Andreas Donhauser zeichneten eine zerbrechliche Figur der Elsa als eine Mischung aus spätpubertierender Kindfrau und sinnsuchender Hysterikerin. In der Sopranistin Sarah Maria Sun fanden sie die denkbar geeignetste Interpretin. Die 39-jährige bewältigte Sciarrinos Gesangslinien in italienischer Sprache brillant. Die in der Partitur dominierenden lautmalerischen Anweisungen gab sie als wahres Geräusch-Talent großartig wieder, Hauchen, Zischen, Zwitschern, Surren, Taubengurren, Tropfenploppen - in ständigen Wechsel der Rollen auch zwischen Solistin und den Instrumentalisten. Mit ihrer Erscheinung, Figur und Kostüm passte Sarah Maria Sun absolut glaubwürdig in die Rolle einer 18-jährigen, ‚Elsa‘ die am Ende an der Seelenquälerei der misslungenen Hochzeitsnacht zerbricht. Sie erwürgt das innere Kind - gespielt ein Junge - in sich, dass sie endlich erwachsen wird – in Salzburger Deutung des Scripts von Sciarrino.
Aufgebaut hatten die Inszenatoren ein Zimmer der Hochzeitsvilla auf der Bühnenebene der Großen Aula der Universität Salzburg. Karg ausgestattet mit bestimmungsnotwendigem großen Bett aber prachtvollem Meeresblick durch luxuriösgroße Fenster. Wie auch viel Lichtspiel und Exaltation der einzig Handelnden Bewegung in die Szene brachten. Sciarrinos Vorgabe „Unsichtbare Handlung für Solistin …“ mit weniger zu entsprechen wäre mehr gewesen! Auch zur Konzentration auf die impressive Klangmusik, die von „Null“-Tönen hochziehend – Atemgeräusche geben Grundlautstärke vor, ein Flötenton ist schon Knall – assoziativ die Kopfwirren der Protagonistin lautmalt. Nach anfänglichem Einhören empfand ich das als großartige neutonige Klangmusik.
Seitensofitten und ein samtener Vorhang begrenzen großzügig – ist halt Salzburg – die Bühne im großen Saal. Davor die 14 Instrumentalisten des Orchesters OENM-Österreichisches Ensemble für Neue Musik, die auch von Sciarrino „erfundene“ besondere Techniken wie gleitende Flageolets und drei Töne gleichzeitig von einem Horn auf ihren Instrumenten anzuwenden hatten. Musikalisch erarbeitet und dirigiert von Peter Tilling, dessen Arbeitsschwerpunkte neben klassisch-romantischem Opernrepertoire die Neue Musik und historische Aufführungspraxis sind. Nicht vergessen sollen sein der „Herrenchor“ dreier junger Sänger, die allerdings nicht mehr als nur Tupfer auf das musikalische Gewebe zu setzen gehabt haben.
Drei Aufführungen des »Lohengrin« waren auf dem Programm der Salzburger Osterfestspiele 2017. Alle nicht ausverkauft, doch von den „Mögern“ jubelnd beklatscht. Schon vorher hatten sich die Reihen ein gelichtet, vielleicht von denen die in der Aula den Bombast vermissten der ihnen das Festspielhauses vis-a-vis geboten hätte.
Dresden übernimmt von Salzburg
die großartige Interpretin und Solistin des Ein-Frau-Stücks Sarah Maria Sun. Allerdings in einer neuen Einrichtung, da sich die Salzburger Bühnendimensionen als nicht übertragbar herausstellten. Peter Tilling wie in Salzburg studiert die Musik in Dresden ein und dirigiert; das Team um Manfred Weiß (Regie), Jan Seegers, Arne Walter, Okarina Peter, Anne Gerber inszenieren szenisch und richten Sciarrinos »Lohengrin« auf der schwarzen Bühne SEMPER ZWEI.Aufführungen 28. und 30. April 19 Uhr und 1. Mai 16 Uhr 2017
Dresdner Sciarrino-Lohengrin
Das Einstimmen der Musiker schon wies auf Ungewöhnliches hin: Töne und schaben, kratzen, klopfen - auch Geräusch muss stimmen im Ton. Elsas Auftritt dann, jungmädchenhaft in glitzerndem Hochzeitskleid, mit römisch-griechischer Lockenpracht einer Vestalin gleich - die sie in der Rolle ist oder nicht. Im gleißenden Licht des verfolgenden Spots im sonst tief Dunklen des studiobühnenschwarz von SEMPER ZWEI während des ganzen Spiels. Zwei Podeste, Requisite einzig nur der Schwanenhals aus Elsas hochgereckten Arm - fast schon zu viel. Folgend dem Soutitel in Sciarrinos Partitur "Azione invisibile per solista, strumenti, e voci - Unsichtbare Handlung ..." die sich in den Köpfen der mehr hörenden als sehenden Zuschauer bilden soll. Einer Handlung die nicht Aktion denn eher Seelenzustandsbeschreibung ist. Die Dichtung des Librettos - besser die Lyrics - in italienischer Sprache geflüstert, vokalisiert, geschrien, sind auf die schwarze Wand hinter Elsa geworfen. Die Lettern im Aufscheinen und Größe dynamisiert, machen das Hilfsmittel der Textprojektion zum Teil der Dramaturgie --- Im Schluss nach kurzer Totaldunkelheit steht Elsa an der Rampe, ihr Augenlicht ist geblendet - irre. So die Dresdner Deutung - besser erfasst (als in Salzburg) was Sciarrino schrieb.Berührend stimmig, stringend inszeniert, großartig von der Solistin interpretiert und musiziert von Orchester und drei-Herren-Chor, ist die Aufführung Siarrinos-Lohengrin von einem Dramolet in Salzburg in Dresden zu einem Oratorium (fast) mutiert. Schade dass nach drei Vorstellungen auch in Dresden nur, eine spätere Wiederaufnahme von Sciarrinos »Lohengrin« hier nur Hoffnung ist. (2.5.2017)
Nachgetragen noch ein bisserl Salzburger Tratsch: Vorauseilender Ruhm seiner »Lohengrin« Inszenierung und seine schon lange Anwesenheit haben wohl Regisseur Michael Sturminger mit seinem Team zugespielt das Salzburger Hauptopus »Jedermann» der Sommerfestspiele aufgetragen zu bekommen. Denn nach der Neubesetzung der Rolle des 'Jedermann' mit Tobias Moretti (nach Ben Becker in den Vorjahren) gab es unüberbrückbare Auffassungsprobleme mit dem langjährig bisherigen Regieteam. Überraschend entschied die Festspielleitung zu einem Totalwechsel und Sturminger stand bereit, womit dieser jetzt in kürzester Zeit das Jedermann-Spiel auf den Domplatz zu bringen hat, vollig neu denn die alte Inszenierung ist bis ins letzte Detail urheberrechtlich geschützt - „pikannt“. (Bäu)